Sacherzählung von Otto Jätschmann
Die Erde war wüst und leer. Dichter Nebel lagerte über dem Wasser und der Geist der profitsüchtigen Wirtschaftskapitäne schwebte im Nebel über dem Lande und ein jeglicher gebrauchte sein eigen Maß und Gewicht nach dem Motto:
Mensura et pondere salus.
Nun geschah es zur Zeit des Herrschers aller Reußen, daß ein Gebot von ihm ausging, dass alle Welt sich schätzen ließ und die von ihr bisher gebrauchten Maße und Gewichte einer Kaiserlichen Normaleichungskommission vorzuzeigen habe. Zur selben Zeit aber drangen die Gilden der ehrbaren Kaufleute und Zünfte der Handwerker darauf, dass in jedem Lande ein jegliches Maß und Gewicht in seiner ursprünglichen Form und Masse erhalten bleiben sollten.
Einige Jahre zuvor aber hatten Interessenverbände und Verbrauchergemeinschaften der alten Ägypter und Babylonier dasselbe vergeblichen Tuns versucht, so dass sich ihre Könige und Regierungs-Präsidenten bereits damals gezwungen sahen, in den Tempeln ihrer Götter Gebrauchs- und Kontrollnormale für Maße und Gewichte aufzubewahren und die Priester in den Tempeln zu Eichbeamten zu ernennen.
An diese uralten Bräuche sich erinnernd verfiel die Kaiserliche Normaleichungskommission auf die gleiche Idee und schuf in jedem Lande einen Tempel, in dem ein ernannter Oberpriester mit eigens dafür geschulten Unterpriestern auf die Durchführung der Kaiserlichen Gebote zu achten hatten. Die Oberpriester bildeten eine bis dato noch bestehende Arbeitsgemeinschaft der Länder, die leider heute etwas zweckentfremdet u. a. viel Zeit mit Gesuchen um Genehmigungen von Dienstreisen und Tagegeldern zu verbringen hat. Weiter schufen die Oberpriester mit einem Rat der Weisen, genannt Physikalisch-Technische-Reichsanstalt, eine Vollversammlung, in der nach langem hin und her eine Bibel für den Gebrauch bei den Priestern erstellt wurde, nach der sie sich künftig bei ihrem Tun zu richten hatten. Diese Bibel wurde Eichordnung genannt und Durchführungs- und Änderungsverordnungen des Rates der Weisen sorgten dafür, dass diese Bibel, kein übliches Druckwerk blieb und sich etwa bei den Ober- und Unterpriestern Langeweile und Trägheit einstellen konnten. Das ist auch bis auf den heutigen Tag so geblieben, nur gibt es ja kein Reich mehr und so wurde aus dem Rat der Weisen von klugen Männern eine Bundesanstalt gemacht.
Die Priester aber zogen unbeirrt durch die Lande und brandmarkten nach einer Stempelverordnung alle von ihnen vorgefundenen Messgeräte mit ihren Zeichen, aber nur wenn diese den Gebot den Kaisern entsprachen, die zugelassenen Fehlergrenzen einhielten und sonst richtig waren. Alle nicht dem Gebot entsprechender Geräte wurden von den Priestern mit einem heiligen Kreuz versehen und damit aus dem öffentlichen, eichpflichtigen Verkehr gezogen.
Mit dem weiteren Umlauf der Gestirne und der fortschreitenden Alterung der alten ehrwürdigen Mutter Erde veränderten sich auch die Sitten und Gebräuche in den Tempeln und bei den im Lande umherziehenden Priestern. Seit Hannibal mit seinen dressierten Elefanten und den dazugehörenden Kriegern nordwärts über die Pässe der Alpen gezogen war, verbreitete sich bei den alten Griechen die Kunde, dass Belastung und Gewicht nicht ein- und dasselbe waren. Damit war das Kilopond erfunden und die Priester lernten ein weiteres mal Kräfte kennen, von denen sie bisher nur ahnen konnten.
Die armen bedauernswerten, nur mühsam durch unzureichende Zehrkosten und Kilometergeldentschädigungen am Leben gehaltenen, weiterhin durch die Lande ziehenden Priester lernten weiter, dass ungleichförmig fortschreitende Bewegungen ihrer Beine und blasenfreies Zapfen von dünnflüssigen Bieren auch nicht wesentlich zur Förderung ihres Wohlbefindens beitragen konnten, dass auch die Zeit nach der gegenwärtig gültigen Definition von Ephemeridensekunden (Ephemeride = Eintagsfliege) nicht für sie arbeitet, auch dann noch nicht, wenn die Zeitmessung mit Hilfe der geplanten Cäsiumhyperfeinstrukturübergangsfrequenz verbessert und neu definiert werden sollte. Derartige Frequenzen sind auch bei Besoldungsreformen zu beobachten.
Nun ging in alten Zeiten die Mär, dass wenn Zeit kommt, auch der Rat kommt. Die Zeit ging ins Land, aber der Rat wollte sich nicht einstellen.
Das geschah es im Jahre 1958!
Einige Jahre zuvor hatten sich in anderen Ländern die Priester bereits zu Landesverbänden zusammengeschlossen und einen Bund der technischen Priester gegründet. Nun versammelten sich auch die Priester des Landes der Freien und Hansestadt Hamburg und hielten einen Rat, wie sie sich vor dem unerbittlichen Rückgang und der Rückständigkeit ihres Berufes in ihrem Lande schützen könnten. Ein alter erfahrener Priester riet, man solle der Rückständigkeit eine Schelle umhängen, dann könne sie nicht mehr so leise und ungehört an der Existenz der Priester nagen. Dieser Rat wurde mit ungeheurem Jubel und Beifall aufgenommen. Als man aber daran ging, einen Priester zu bestimmen, welcher der Rückständigkeit die Schelle umzuhängen hatte, wurde es mucksmauschenstill in der Versammlung, denn keiner der Anwesenden wollte dieses Wagnis auf sich nehmen, bis sich endlich der alte Priester selbst dazu erbot. Er wusste aufgrund seiner Erfahrungen, dass er damit ein weiteres schweres Kreuz zu tragen hatte und von den nachfolgenden Priestern aber auch vom Oberpriester des Landes keinen Dank erwarten durfte. Unbeirrt und getreu seinem Gelübde ging er an seinen Auftrag heran und in mühseliger Kleinarbeit und der Eingabe von Denkschriften an den Hohen Rat der Stadt gelang es, Beförderungsstellen für die Priester zu schaffen und deren Stellenplan zu verbessern. Diese ersten sichtbaren Erfolge ermutigten die Priester und sie begannen zu glauben das sieh nun endlich auch für sie der Nebel über dem Lande heben würde und ihr verantwortungsvolles karges Dasein besser erkennbar werde.
Es geschah aber noch zur Koalitionszeit, dass den Priestern ein hardter-Engel erschien. Dieser sprach: "Sehet, ich verkünde Buch große Freude, denn Euch wird ein neuer Tempel mit Gemächern für den Oberpriester erbaut werden und ihr habet Freude daran und Eure Dienstfreudigkeit wird sich erheblich steigern."
Gar bald ging der Hohe Rat der Stadt daran mit Hilfe seiner Baubehörde den noch aus dem Mittelalter stammenden, provisorisch in einer alten Rossunterkunft untergebrachten Behelfstempel durch einen neuen, beinahe technisch vollkommenen Haupttempel zu ersetzen. Dieser einmalige Prachtbau erweckte in den Priestern neue Hoffnungen und als der hardte-Engel bei der Einweihung des Tempels ihnen abermals erschien und ähnlich dem Orakel von Delphi ihnen weissagte, dass sie von Stund an ein gesegneteres und auch dem Dienstherrn wohlgefälliges Leben fahren würden, da keimte in ihnen die Hoffnung, dass nun gar bald die Stunde der Erlösung von den Übeln für sie kommen könnte. Wie so oft in der langen Geschichte ihres Daseins erwies sich diese Hoffnung als trügerisch und falsch.
Der hardte-Engel war plötzlich auf ewig in den Wolken verschwunden und sehr bald darauf zeigte sich des wahren Pudels Kern.
Von nun an lauteten die Orakelsprüche nur noch von angespannten, unausgeglichenen Haushaltslagen und analytischen Dienstpostenbewertungen, die das eine wohl wollten aber das andere doch lassen müssten, schon aus Gründen der Personalkostenersparnis und weil eben ein Stillhalteabkommen dagegen sei.
Die Engelschöre und sonstige Heerscharen aber posaunten über die Grenzen des Landes hinaus, dass in der alten Hammonia die Techniker insgesamt und nicht nur diese mehr als jemals zuvor ihres Landesbundes bedürfen, damit ihre Rufe nicht gleich dem Wanderer in der Wüste ungehört verhallen und ihr Lebenstandart sich dem der eichtechnischen Priester im alten Rom anpasst.
Trotz der angespannten aber nicht hoffnungslosen Lage der technischen Priester glauben diese fest daran, dass es durch Nacht zum Licht geht, die Dienstherren einschließlich der Oberpriester sich an ihre Fürsorgepflicht erinnern und einig der uralten Orakelsprüche verwirklichen. Getreu ihrem Gelübde werden die technischen Priester weiter ihre schweren Dienstgänge verrichten, immer in der festen Hoffnung, dass auch eines Tages der Besoldungsrückstand abgebaut ist und sie wieder frohen Herzens genießen können, was Bund und Länder ihnen gewähren.
Das ist die Mär von den technischen Priestern und wenn sie nicht gestorben sind, so gammeln sie noch heute.
P.S.: Der Fama nach soll es den technischen Priestern anderer Laufbahnen und in anderen Ländern auch nicht viel besser ergehen.
Otto Jätschmann war um 1960 Vorsitzender des BTE Hamburg
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